Amor und Psyche

"Amor und Psyche" ist eine Erzählung in den "Metamorphosen“ des Apuleius aus Madaura (um 124 bis um 180), auch bekannt unter dem späteren Titel "Der goldene Esel“.

ERANT IN QUADAM CIVITATE REX ET REGINA - Es waren einmal in einer Stadt ein König und eine Königin, die hatten drei Töchter von großer Schönheit. … Die Schönheit der jüngsten war so ausgezeichnet und außerordentlich, daß die menschliche Sprache zu arm war, sie würdig zu feiern.“

Ihr Name ist Psyche. Sie ist so schön, dass alle vergessen, Venus, die Göttin der Schönheit und der Liebe, zu verehren. Eifersüchtig befiehlt Venus ihrem Sohn Amor, für Psyche den niedrigsten und abscheulichsten Mann zu finden. Alle bewundern die göttliche Schönheit Psyches, doch keiner wagt sie zu freien. Der Vater, darüber verzagt, befragt das uralte Orakel, welches antwortet:

Hoch auf die Felsenspitze des Bergs hinstelle die Jungfrau, angetan mit dem Schmuck traurigen Ehegemachs, Hoff auf den Eidam nicht, entsprossen aus sterblichem Stamme, sondern aus Drachengeschlecht wird er dir schrecklich erstehn. Denn durch die Lüfte geflügelt sich schwingend, jagt er auf alle, und mit Flammen und Erz jedem Verderben er bringt; Jupiter zittert vor ihm, es fürchten ihn alle Götter, vor ihm graut sich das Meer, selber die stygische Nacht.“

Im Brautkleid, eher ein Leichengewand, wird die schöne Königstochter auf die einsame Felsenspitze gebracht.

Die angstvolle und zitternde Psyche jedoch, die auf dem Gipfel des Felsens weinte, trug der linde Hauch des sanft wehenden Zephyrs in ihren schwellenden, sich bauschenden Gewändern sanft… hinab und legte sie im Tal behutsam in den Schoß eines blühenden Rasens.“

Dies geschieht auf Anweisung Amors, der selbst der überirdischen Schönheit Psyches erliegt. Nacht für Nacht erscheint er als unsichtbarer Geliebter, doch beim Morgengrauen verschwindet er, ohne dass Psyche ihn je zu Gesicht bekommt. Weil Psyche sich einsam fühlt, „da sie, in einem schönen Kerker bewacht und der Unterhaltung mit Menschen entzogen…“ gewährt Amor ihr den Besuch der Schwestern. Jedoch dürfe sie sich nicht von ihnen verleiten lassen, herauszufinden, wer er sei. Doch die Schwestern sind schnell vom Neid verzehrt. Es gelingt ihnen, der unschuldigen Psyche einzureden, dass ein grässlicher Drache nachts bei ihr ruht und sich ihr wegen seiner furchtbaren Gestalt nie bei Tageslicht zeigt, jedoch die schwangere Psyche alsbald verschlingen werde.

Aber Psyche, allein gelassen, …, schwankte in ihrem Innern gleich dem dunkelwogenden Meere …“

Ratlos und schwankend folgt Psyche schließlich dem Rat ihrer Schwestern: mit einer Öllampe und verborgenem Messer erwartet sie ihren nächtlichen Geliebten.

Aber sowie der Strahl des Lichtes das Geheimnis des Lagers erhellt, sah sie das sanfteste und süßeste von allen wilden Tieren, jenen schönen Gott Amor selbst in holdem Schlummer …“

Überwältigt von plötzlicher Zuneigung bemerkt Psyche nicht, wie ein Tropfen heißen Öls auf Amors Schulter fällt. Der verletzte Gott fühlt sich erkannt, entflieht und lässt sie untröstlich zurück. Für Psyche beginnt ein langer und schmerzvoller Weg. Sie wird von Venus, voller Wut über den Ungehorsam ihres Sohnes und die Schönheit Psyches schmerzvoll gezüchtigt. Vier lebensgefährliche Prüfungen muss Psyche bestehen:

Seht sie will mein Mitleid erregen durch ihren geschwollenen Bauch… Mit diesen Worten stürzte sie auf sie los, zerriss ihr das Kleid und zerrte sie an den Haaren. Dann nahm sie Korn, Gerste, Hirse, Mohn, Erbsen, Linsen und Bohnen, mengte sie durcheinander, türmte sie zu einem Haufen …“ und verlangt von Psyche, bis zum Abend alles zu sortieren. Die mitleidigen und fleißigen Ameisen helfen Psyche in ihrer Bedrängnis, und zur bestimmten Zeit ist die Arbeit getan. Venus jedoch fordert von Psyche das goldene Wollvlies der schrecklichen Schafsböcke aus dem wilden, hoch am Felsen gelegenen Hain. Das leise säuselnde Schilfrohr verrät der armen Psyche die Lösung, und beherzt sammelt sie die Wolle ein. Aber Venus verlangt noch Grausigeres: Aus der schwarzen Quelle am höchsten Gipfel des gewaltigen Felsgebirges, welche die stygischen Sümpfe bewässert, verlangt sie eiskalte Tropfen. Psyche versteinert fast im Anblick des unheimlichen Gewässers. Der königliche Vogel Jupiters, der pfeilschnelle Adler, kommt Psyche zu Hilfe. Er nimmt ihr das kristallene Gefäß ab „und füllte es, indem er sich auf seinen Flügeln schwebend erhielt und mitten unter den zähnefletschenden Drachen das widerwillige und zur Flucht mahnende Wasser schöpfte…“ Auch diese bestandene Prüfung kann den Zorn der Venus nicht besänftigen und eine noch schrecklichere Aufgabe wird Psyche gestellt. In den Orkus wird sie mit einer Büchse geschickt, diese von Proserpina mit Schönheit füllen zu lassen. Der hohe Turm, von dem sich Psyche nun herabstürzen will, ermahnt sie und verrät ihr, wie die Aufgabe erfüllt werden kann. Psyche erhält von Proserpina die Büchse, doch auf dem Rückweg überkommt sie die Neugier nach dem Inhalt. Keine Schönheit ist darin verborgen, sondern der stygische Schlaf entweicht und überwältigt sie. Von Liebesglut verzehrt erscheint Amor, streift Psyche den stygischen Schlaf ab und sperrt ihn zurück in die Büchse. Von Jupiter erbittet Amor die Erlaubnis, Psyche zu heiraten. Psyche bekommt den Becher mit Ambrosia. “Trink, Psyche, und sei unsterblich! Niemals soll Amor von dir weichen, ewig wird eure Verbindung währen.“ Alsbald wird beiden eine wunderschöne Tochter geboren, ihr Name ist Voluptas.

Zitate aus: Apuleius, Amor und Psyche, lateinisch und deutsch, Übersetzung von Reinhold Jachmann, Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig, 1975